„Was heißt hier Minderheit?“ Austausch im Rahmen der Ausstellung in Leer

Im Rahmen der Wanderausstellung „Was heißt hier Minderheit“ hat es nach ihrer feierlichen Eröffnung am 25.07.2022 erneut im Forum der Sparkasse Leer/Wittmund eine Veranstaltung zum Austausch in Sachen Minderheiten, Minderheitensprachen und Regionalsprache Niederdeutsch gegeben.

Die Austauschveranstaltung fand am 23.08.2022 statt, zu der die Ostfriesische Landschaft eingeladen hatte. In seiner Begrüßung zeigte der Landschaftspräsident Rico Mecklenburg auf, dass in der Vielfalt der Bevölkerung Minderheiten nur unzureichend bekannt seien oder über sie Klischees bestünden, die mit der modernen Wirklichkeit nichts zu tun hätten. Daher drückt er sein Lob für die Erarbeitung der Ausstellung durch die Zusammenarbeit der Vertreter der autochthonen Minderheiten und der Regionalsprache Niederdeutsch aus. Zugleich betont er, dass es auch bei der heutigen Veranstaltung bei aller Unterschiedlichkeit um die Gemeinsamkeiten gehen solle und was die Anwesenden gemeinsam in Zukunft erreichen könnten. Mit dieser Perspektive übergab er das Wort an die Leiterin des Plattdüütskbüros der Ostfriesischen Landschaft Grietje Kammler, die als Moderatorin durch die Veranstaltung führte.

Ingo Lindemann, Vertreter des 1. Sinti-Verein Ostfriesland e. V., stellte den Anwesenden eindrücklich die Arbeit des erst 2015 bestehenden Vereins vor Augen und zeigte auf, wie ihnen bei ihrer täglichen Arbeit vor Ort noch immer Klischees und Schwierigkeiten in ihrer Vereinsarbeit entgegentreten. Unterstützt wurde er dabei von dem Vereinsvorsitzenden Michael Wagner. Der Verein hat sich zur Aufgabe gesetzt, den Bildungsabsentismus von Sinti und Roma in Ostfriesland, der nach dem 2. Weltkrieg noch bestand, durch eine Verstärkung der Bildungsarbeit zu überwinden. Dazu stellte er den Anwesenden die herausragende Arbeit des Vereins vor. Beispielsweise steht dafür das Projekt der Sinti-Bildungsbegleiter, das als Qualifizierungsmaßnahme mit eigenem Curriculum Begleiter aus der Ethnie der Sinti über 18 Monate zu zertifizierten Begleitern ausbildete. Ein erster Durchgang dieser Maßnahme erfolgte im Jahre 2017. Ermöglicht wurde es neben der Arbeit des Vereins auch durch die Stiftung EVZ und in Zusammenarbeit mit dem Land Niedersachsen. Die Sinti-Bildungsbegleiter nehmen dabei die Aufgabe wahr, junge Sinti und Roma in der Bildungsteilhabe an den Schulen durch AGs oder Hausaufgabenhilfe zu unterstützen und gleichsam bei Konfliktsituationen und Anfeindungen Mut zu machen. Denn Begleiter von Sinti für Sinti zu haben, schaffe mehr Vertrauen in den Familien und ermöglicht eine Orientierung an regionale Bedürfnisse, so Lindemann. Erste Erfolge zeigen sich bereits, da mittlerweile eine hohe Abschlussquote von Sinti an den Schulen erreicht worden seien.

Anschließend sprach Johanna Evers für den Seelter Bund und stellte in historischer Perspektive über die Beziehung zwischen dem Saterland und Ostfriesland dar, wie sich das Saterfriesische als Mundart der neuostfriesischen Sprache erhalten hat. Mit Humor stellte sie dabei heraus, warum für das Saterland gerade ihr Freiheitsbewusstsein ein herausstehendes Merkmal sei, als sie sich gegen die oldenburgischen Landesherren durchzusetzen versuchten. Heute werden im Saterland auch Fortbildungen z. B. für Lehrkräfte angeboten, um das Saterfriesisch zu erlernen. Sie verfolgen dabei das Ziel, dass im Saterland der Unterricht bilingual in den Schulen erfolgen kann und dass die Sprache bekannt wird, um Leute zu finden, die sie dabei zu unterstützen. Für den Einsatz in Schulen sind gerade erst Lehrwerke erschienen, die nun zum neuen Schuljahr eingebracht werden können. Sie werden vorgestellt von der Lehrerin Ingeborg Remmers. Das Besondere an den Lehrwerken ist, so stellt Remmers heraus, dass durch Tonaufnahmen, die es zu den Büchern gibt, Lehrkräfte unterstützt werden bei der Sprache, die selbst keine Muttersprachler des Saterfriesischen sind. Karl-Peter Schramm aus dem Seelter Bund drückte mit der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen, zu dessen Umsetzungen auch das Land Niedersachsen sich verpflichtet hat, die rechtliche Besonderheit der Minderheiten aus. Zudem machte er sich für die Einrichtung hauptamtlicher Stellen zusätzlich zum Ehrenamt stark, da gerade dann noch deutlicher präsentierbare Ergebnisse in die Gesellschaft getragen werden könnten.

Der Vorsitzende der Oostfreeske Taal Hans Freese stellte dann den 1990 gegründeten Verein für ostfriesische Sprache und Kultur vor. Ausgehend von einem geringen Ansehen der plattdeutschen Sprache in der Gesellschaft und dem mangelnden Einsatz für die eigene Sprache hat sich der Verein zum Ziel gesetzt, mehr Platt in den Alltag und in die Öffentlichkeit zu tragen. Dies erfolgt durch ihr „Platt-Bladd“ mit Informationen und Einladungen zu Veranstaltungen und durch den seit 1993 vergebenen Keerlke-Preis. Er ist der Figur des gleichnamigen Romans der Ostfriesin Wilhelmine Siefkes nachempfunden und wird an Personen vergeben, die sich in ihrer Arbeit um das Ostfriesische verdient gemacht haben. Mit Ausstellungen, z. B. der Übersetzung der Menschenrechte auf Platt und der Arbeit an Schulen und Kindergärten, trete der Verein Oostfreeske Taal auch in der Region erkennbar in die Öffentlichkeit, so Freese. Daneben habe sich im Zusammenwirken von Ehrenamt im Verein und den Hauptamtlichen im Plattdüütskbüro der Ostfriesischen Landschaft eine einheitliche Schreibweise des ostfriesischen Plattdeutschen etabliert und es sei das Online-Wörterbuch „Platt-wb“ sowie die Sprachlern-App für das Smartphone „PlattinO“ realisiert worden. Ein Herzensanliegen für den Verein sei es, so Freese weiter, die Förderung für Plattdeutsch über Ostfriesland hinaus anzustoßen und dabei von anderen Minderheiten und Minderheitensprachen zu lernen. Dafür sollten Austauschmöglichkeiten intensiviert werden.

Diesem positiven Eindruck folgte Rico Mecklenburg in seinem Schlusswort und dankte allen Referierenden für ihre Ausführungen. Er stellte zugleich für die Zukunft die Perspektive auf, dass solch ein Austausch weitergeführt werden sollte, um gemeinsame Projekte anzustoßen.

Die Wanderausstellung ist ein gemeinsames Projekt von Minderheitenrat und Bundesraat för Nedderdüütsch. Gefördert wird die Ausstellung vom Bundesministerium des Innern und für Heimat. Sie wird noch bis zum 31.08.2022 zu den Öffnungszeiten im Foyer der Sparkasse Leer/Wittmund mitten in der Innenstadt von Leer zu sehen sein.

Text und Fotos: Thees Becker, Jugendbeauftragter des BfN