„Mich hat der wissenschaftliche Zugang zum Niederdeutschen gereizt“

Interview mit Carina Engelmann, Studierende an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Stell dich doch bitte kurz vor.

Mein Name ist Carina Engelmann. Gebürtig komme ich aus der Gemeinde Garrel im Landkreis Cloppenburg. Von Beruf bin ich Mediengestalterin für Digital- und Printmedien. Hier pausiere ich jedoch aktuell und absolviere ein Studium an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Meine Fächer sind Germanistik sowie Kunst und Medien.

Wie ist dein persönlicher Zugang zu Niederdeutsch?

Niederdeutsch ist meine Muttersprache und ich nutze sie aktiv in privatem und familiärem Umfeld.

Du bist gelernte Mediengestalterin. Was hat dich dazu bewogen, Germanistik, Kunst und Medien auf Lehramt zu studieren?

Ich arbeite gerne mit Jugendlichen und Kindern zusammen. Außerdem hatte ich Lust nach einigen Jahren im Beruf mich fortzubilden – vor allem im Bereich Kunst und Medien konnte ich auf mein Vorwissen bauen.

Im Rahmen deines Studiums an der Uni Oldenburg machst du das Zertifikat Niederdeutsch. Was ist für dich das Besondere an diesem Angebot?

Das sind gleich zwei Aspekte: Zunächst wäre da der wissenschaftliche Zugang zum Niederdeutschen, der mich gereizt hat, da sich diese Möglichkeit für mich bis dahin noch nicht ergeben hatte. Weiter war es für mich interessant neben dem Universitätsabschluss ein weiteres Zertifikat zu erwerben – also eine Zusatzqualifikation.

Du hast dich in deiner Bachelorarbeit mit Briefen von Frauen im Kloster zwischen 1460-1555 beschäftigt, die auf Mittelniederdeutsch verfasst waren. Was hat dich an dem Thema fasziniert?

Der Bildungsstand von Frauen im Mittelalter stand lange nicht im Focus der Forschung, so dass davon ausgegangen wurde, Werke in höherer Briefrhetorik stammten von Männern. Durch meine Dozentin Frau Diekmann-Dröge von der Uni Oldenburg wurde ich auf ein noch laufendes Forschungsprojekt aufmerksam gemacht. Es wird von Prof. Dr. Eva Schlotheuber und Prof. Dr. Henrike Lähnemann geleitetet und trägt den Titel Netzwerke der Nonnen. Edition und Erschließung der Briefsammlung aus Kloster Lüne (ca. 1460–1555). Dort werden seit 2016 Briefbücher aus dem Klosterarchiv Lüne für wissenschaftliche Untersuchungen durch kritische Edition zugänglich gemacht (vgl. Gerda Henkel Stiftung 2016). Dank dieser Edition konnte ich selbst Untersuchungen unternehmen, inwieweit Frauen rhetorische Fähigkeiten und hier insbesondere die mittelalterliche Briefstillehre ars dictaminis einsetzen. Selbst in einem noch wenig untersuchten Feld unter Berücksichtigung einer älteren Sprachstufe des Niederdeutschen zu forschen, war sehr reizvoll für mich.

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse, die du aus deiner Arbeit gewonnen hast?

Die Klosterfrauen im Mittelalter verwendeten die ars dictaminis und dies überaus gekonnt und geschickt. Der Einsatz erfolgte aber auch dem jeweiligen Schreibanlass und Briefempfänger entsprechend auch mal weniger streng und dafür selbstbestimmt. Die gekonnte Verwendung Rhetorik lässt auf eine gehobene Ausbildung schließen.
Außerdem vermittelten die Nonnen durch ihre Rhetorik ihre eigene Denkweise abseits von Rationalität und Weltlichkeit, die sich allein auf den göttlichen Heilsplan fokussiert. Dabei verwendeten die Klosterschwestern ihre theologischen Kenntnisse auch zu einem beachtlichen Teil, um sich selbst mit den Mitteln der höheren Rhetorik als Bräute Christi sprachlich darzustellen und abzugrenzen.

Du hast bei dem Projekt „Jugend verkloort Platt“ des Länderzentrums für Niederdeutsch mitgewirkt und in diesem Rahmen eine Infografik erstellt. Mit welchem Thema hast du dich beschäftigt, und wie bist du vorgegangen?

Meine Aufgabe bestand darin, eine Informations-Grafik zu entwickeln, die einen Vergleich zwischen Hochdeutsch und Plattdeutsch visualisiert. Dabei kam mir die Idee, einen Whats-App-Chat zwischen einem Pärchen darzustellen: Die Frau kommuniziert auf Hochdeutsch und der Mann auf Niederdeutsch. Als dort beispielsweise der Mann seiner Freundin im Dialog rät „man sinnig“, stimmt sie mit „na dann halt in Ruhe“ zu. So erschließt sich dem Betrachter/der Betrachterin der Sinn der Niederdeutschen Worte. Das kam gut an!

 

 

Bildquelle: Länderzentrum für Niederdeutsch

Inwiefern hat sich dein Blick auf Niederdeutsch durch die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Sprache verändert?

Persönlich war ich lange vom Negativ-Image des Niederdeutschen geprägt. Durch das Studium ist mir nun bewusst, dass es über Jahrhundert hinweg nicht nur Alltagssprache sondern auch Sprache in Diplomatie und Handel war, und beispielsweise in der Zeit der Hanse eine dominante Rolle besaß.

Könntest du dir vorstellen, als Mediengestalterin selber plattdeutsche Medieninhalte zu erstellen? Wenn ja, in welche Richtung könnte dies gehen?

Auf jeden Fall. Als wichtig erachte ich vor allem Inhalte, die das Image des Niederdeutschen positiv und zeitgemäß beeinflussen können wie beispielsweise im Projekt „Jugend verkloort Platt“.

Zum Abschluss: Was wünschst du dir für die Zukunft in Bezug auf Niederdeutsch in der aktuellen Gesellschaft?

Ich würde es als sinnvoll erachten, das Thema Niederdeutsch und hier vor allem die Sprachgeschichte in der Schulbildung bzw. im Kerncurriculum fest zu verankern. Denkbar wäre dies beispielsweise innerhalb der Fächer Deutsch und Englisch, wo neben der Sprache selbst auch Wissen über die Entstehung der Sprache vermittelt werden könnten. Niederdeutsch würde so automatisch zum Thema. So würde es wissenswerter Bestandteil der Allgemeinbildung werden.

Zum Weiterlesen:

Carina Engelmann: Welche Rückschlüsse lässt die rhetorische Gestaltung privater Korrespondenz von Nonnen aus dem Kloster Lüne auf ihre soziale Praxis und auf ihre rhetorische Ausbildung zu? (pdf-Dokument)

Das Interview führte Meret Buchholz, Werkstudentin im Niederdeutschsekretariat